"Der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. ist eine Strafanzeige zugegangen, die wohl auch den Staatsanwaltschaften Hamburg und Chemnitz zugestellt wurde. In der Anzeige werden massive Vorwürfe gegen Verantwortliche des im SDAX notierten Flugzeugmotorenbauers Thielert AG erhoben. Ihnen wird Urkundenfälschung, Bilanzbetrug sowie Prospekt- und Kapitalanlagebetrug vorgeworfen. Der Verfasser der insgesamt 72 Seiten umfassende Anzeige hatte offenbar Zugang zu Kreditverträgen, Liquiditätsplanungen und vertraulichen Prüfungsunterlagen der BDO Deutsche Warentreuhand AG. Diese Unterlagen hat er der Anzeige in Form kopierter Originale beigelegt.
Den Verantwortlichen des Unternehmens wird in der Anzeige vorgeworfen, in den letzten Jahren durch fiktive Umsätze und Aktivierung von Forderungen eine falsche und deutlich zu positive Unternehmensdarstellung erzeugt zu haben. Konkret werden in der Anzeige zahlreiche Forderungen aufgeführt, die zum 31. Dezember 2004 bilanziert worden sind, aber deren Werthaltigkeit zweifelhaft sein soll. Die Thielert AG wurde 2005 von Banken finanziert, und zwar in erster Linie durch einen Betriebsmittelkredit in Höhe von 24 Mio. EUR. In der Anzeige wird Thielert vorgeworfen, den Banken hohe Liquiditätseingänge in Aussicht gestellt zu haben, die dann aber immer wieder verschoben wurden. Eine im April 2005 durch die kreditgebenden Banken veranlasste "Sonderprüfung der Debitoren und Forderungen" kam nach Angabe des Anzeigeerstatters am 27. Mai zu dem Zwischenergebnis, dass von 37 angeforderten Saldenbestätigungen lediglich zwei vorgelegt wurden. Von den zu prüfenden 21 Mio. EUR Forderungsbestand konnten nur 7.366 EUR, also gerade mal 0,03%, durch beantwortete Saldenbestätigungen positiv festgestellt werden. Trotz dieses alarmierenden Ergebnisses wurden von den Sonderprüfern offensichtlich keine weiteren Maßnahmen oder Prüfungen vorgenommen.
In der Anzeige wird ausgeführt, dass den Banken bereits vor Abschluss der Forderungssonderprüfung kommuniziert worden war, dass der Börsengang geplant sei. Nach Ansicht des Anzeigeerstatters haben deshalb die Banken trotz des vernichtenden Ergebnisses nicht eingegriffen. Auf Basis der eventuell manipulierten Finanzdaten wurde im November 2005 tatsächlich der Börsengang der Thielert AG durchgeführt. Mit den Erlösen des Börsengangs wurde dann u.a. der Betriebsmittelkredit zurückgeführt.
Vom Vorstandsvorsitzenden Frank Thielert AG erhielt die SdK widersprüchliche und unbefriedigende Antworten zu den Vorwürfen. Die Vorwürfe bezeichnete er als "plump und falsch". Die Sonderprüfung sei angeblich deshalb abgebrochen worden, weil das vorgelegte Zwischenergebnis vom 27. Mai ausreichend Transparenz für die Banken geschaffen habe und man weitere Kosten der Prüfung vermeiden wollte. Thielert behauptet zwar, dass inzwischen ein Großteil der teilweise seit 2003 offenen Forderungen in Millionenhöhe beglichen sei, blieb die konkreten Auskünfte und Belege aber schuldig. Zu zehn Kundenforderungen (Summe: 13 Mio. EUR) aus der Anzeige behauptete Thielert zuerst, dass lediglich 17 Prozent, also 2,2 Millionen, noch offen seien und es bisher noch nicht zu Ausfällen gekommen sei. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass 7,5 Millionen noch offen sind und davon bereits 3,8 Millionen wertberichtigt wurden. Eine Forderung in Höhe von 500.000 EUR wurde komplett abgeschrieben.
Thielert hat allerdings eine genaue Erklärung für die in Umlauf gekommen hochbrisanten Papiere: Hedgefonds hätten die Aktie leerverkauft und wollten jetzt von einem Kurssturz profitieren. Die Thielert AG hat daher inzwischen selbst Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt und die BaFin informiert.
Die SdK bewertet die Aussagen und Schlussfolgerungen der Strafanzeige gegen die Thielert AG als schlüssig und begründet. Die Tatsache, dass das Unternehmen anscheinend große Mühe hat, die Vorwürfe zu entkräften, sich dafür aber um so schneller als Opfer von Hedgefonds identifiziert, erinnert an FJH, Comroad oder MLP. Die Gesellschaften argumentierten ähnlich und mussten später jedoch ihre höchst aggressive und teilweise kriminelle Bilanzierung zugeben. Die SdK hat die Unterlagen zur Prüfung an die Deutsche Prüfstelle für Rechungslegung ("Bilanzpolizei") weitergeleitet.
Nach Ansicht der SdK muss neben den Vorwürfen auch schon die Entwicklung der veröffentlichten Bilanzrelationen als ungewöhnlich und beunruhigend gewertet werden. So stieg zwar der Umsatz von 24,2 Mio. EUR 2004 auf 37,5 Mio. EUR 2005, die bilanzierten Forderungen nahmen jedoch auch von 24 auf sogar 45,3 Mio. EUR zu. Und das, obwohl die in der Sonderprüfung untersuchten Forderungen in Höhe von 21 Millionen angeblich schon "größtenteils" beglichen waren. Zum Halbjahresbericht per 30. Juni 2006 ist die Höhe des Forderungsbestands nicht einzeln ausgewiesen. Jedoch beliefen sich die Forderungen und sonstigen Vermögenswerte auf 65,3 Millionen, wobei darin rund 13 Millionen Kassenbestand enthalten sind und die Forderungen - nach unsere Berechungen - somit bereits über 50 Millionen ausmachen dürften.
Zwar vermeldete die Gesellschaft bisher stets ein positives EBIT, spiegelbildlich zum Anstieg des Forderungsbestands ist jedoch der ständige Cash burn im operativen Geschäft. So betrug der Cash flow aus betrieblicher Tätigkeit in 2004 minus 5,4 Mio. EUR, in 2005 minus 11,1 Mio. EUR und zum Halbjahr 2006 minus 14 Mio. EUR. Deshalb musste Thielert auch, obwohl dem Unternehmen erst zum Börsengang in November 2005 rund 62 Mio. EUR zuflossen sind, im Mai 2006 weite 20 Mio. EUR in Form eines Schuldscheindarlehens aufnehmen.
Obwohl Thielert ohne Zweifel innovative Flugzeugmotoren mit hohem Marktpotenzial herstellt, rät die SdK Anlegern, Abstand von der Aktie zu halten. Die derzeitige Bewertung von knapp 500 Mio. EUR muss auch ohne die "Forderungs-Problematik" als extrem hoch betrachtet werden. Sollten sich die in der Strafanzeige aufgestellten Behauptungen jedoch bewahrheiten, droht der Totalverlust des Investments."
Veröffentlichungsdatum:
05.10.2006
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13:03
Redakteur:
rpu