Vor wenigen Tagen meldete der börsennotierte Betreiber von Pflege- und Reha-Einrichtungen erste Zahlen für das am 30.06.2003 abgelaufene Geschäftsjahr 2002/2003. Auf der Grundlage vorläufiger geprüfter Werte konnte der Umsatz um 5,6 Prozent auf 191,1 (Vj.: 180,9) Mio. Euro zulegen. Die Ergebnisse im Kerngeschäftsfeld Pflege entwickelten sich erneut positiv, konnten jedoch die vor allem konjunkturell begründeten Verluste im Reha-Bereich nicht vollständig kompensieren.
Das vorläufig berechnete Ergebnis nach DVFA/SG (HGB) lag bei 8,5 (10,1) Mio. Euro, entsprechend einem Ergebnis je Aktie von 0,70 (0,82) Euro. Nach IAS ergibt sich im Berichtszeitraum ein DVFA/SG-Ergebnis von 8,2 (8,8) Mio. Euro. Die Auslastungsquote lag im Gesamtjahr 2002/2003 mit 92,1% unterhalb des Vorjahreswertes von 94,3%. Dies ist neben der Entwicklung des Segments Rehabilitation mit einer Auslastung von 83% (Vorjahr 88,1%) auf sieben neu in den Konzern integrierte Pflegeeinrichtungen mit insgesamt 770 Betten zurückzuführen, die noch nicht durchgängig den hohen Auslastungsstand der übrigen Pflegeheime erreichten.
GSC Research nahm die Bekanntgabe der Eckdaten zum Anlass, mit dem Vorstandsvorsitzenden Axel Hölzer über die wesentlichen Entwicklungen des vergangenen Geschäftsjahres, die Auswirkungen der aktuellen Diskussionen zum Gesundheitssystem sowie die weiteren strategischen Überlegungen des Unternehmens zu sprechen. Das vorliegende Interview führte Alexander Langhorst.
GSC Research: Herr Hölzer, die für den Aktionär sicherlich spannendste Frage haben Sie mit der Veröffentlichung der vorläufigen Eckdaten für das abgelaufene Geschäftsjahr noch nicht beantwortet: Wie hoch wird die Dividende ausfallen?
Hölzer: Ich möchte Sie um Verständnis dafür bitten, dass der Dividendenvorschlag für das abgelaufene Geschäftsjahr sowie der Ausblick auf das neue Jahr erst anlässlich der Bilanzpressekonferenz am 14. Oktober 2003 in Berlin bekannt gegeben wird.
GSC Research: Können Sie unseren Lesern nicht zumindest eine gewisse Indikation mit auf den Weg geben, oder anders gefragt, muss sich der Aktionär angesichts des rückläufigen Ergebnisses auf eine Verringerung der Ausschüttung einstellen?
Hölzer: Lassen Sie mich so antworten: In den vergangenen Jahren hat sich unsere Dividende immer als relativ konstant erwiesen und stand in einem angemessenen Verhältnis zum erwirtschafteten Jahresergebnis. Auch wenn wir in diesem Jahr auf der Ergebnisseite etwas unter Vorjahr liegen, kann ich derzeit keinen Grund erkennen, warum man mit Blick auf das abgelaufene Geschäftsjahr zu einer anderen Überlegung gelangen müsste, zumal wir im laufenden Jahr mit einer weiteren Verbesserung des Ergebnisses in der Pflege rechnen.
GSC Research: Das vorliegende Ergebnis ist ja doch erfreulicher ausgefallen, als es die Zahlen für die ersten neun Monate des Geschäftsjahres im Mai 2003 erwarten ließen. Was sind die wesentlichen Hintergründe dieser Entwicklung?
Hölzer: Sie müssen berücksichtigen, dass in unserem dritten Quartal, welches die Monate Januar bis März umfasst, im Reha-Bereich traditionell ein sehr schwaches Geschäft vorherrscht. Die saisonal schwache Geschäftslage wurde im laufenden Jahr von der schlechten konjunkturellen Lage zusätzlich negativ beeinflusst. Im letzten Quartal hat sich die Auslastung im Bereich Reha wieder verbessert und dazu geführt, die bis zum dritten Quartal aufgelaufene Lücke zu reduzieren. Leider hat dieser Effekt dennoch nicht verhindert, dass in der Reha insgesamt ein Verlust entstanden ist.
GSC Research: Sie führten aus, dass die konjunkturelle Lage das Geschäft im Reha-Bereich negativ beeinflusst. Wie muss man sich dass vorstellen, werden die Leute seltener krank?
Hölzer: Sie müssen im Bereich Reha zwischen den somatischen und den psychosomatischen Einrichtungen unterscheiden. In den somatischen Einrichtungen, die sich mit der Rehabilitation nach Operationen und Ähnlichem befassen, sind konjunkturelle Auswirkungen in der Tat nur in sehr geringem Umfang feststellbar. Es führt beispielsweise nach einer Bandscheibenoperation auch kein Weg an einer Reha-Maßnahme vorbei, egal wie die wirtschaftliche Lage aussieht. Unsere Auslastungsquote in diesen Häusern liegt nach wie vor bei etwa 95 Prozent.
Etwas anders gelagert ist hingegen der Fall bei den psychosomatischen Einrichtungen. Dort ist festzustellen, dass zum einen eine insgesamt niedrigere Nachfrage nach Maßnahmen besteht und zum anderen eine Reihe von Patienten, die eigentlich entsprechende Behandlungen von der Krankenkasse bewilligt bekommen haben, ihre Reha- bzw. Kurmaßnahme aus Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes oder anderen Gründen nicht antreten. Bei diesen Patienten sind wir darauf angewiesen, dass sie freiwillig zu uns kommen.
GSC Research: Ist der von Ihnen beschriebene Trend im Reha-Bereich, der bei Marseille-Kliniken zu einem Rückgang der Auslastungsquote von 88 auf 83 Prozent geführt hat, branchenweit zu beobachten?
Hölzer: Ja. Wobei die Wettbewerber alle noch ein paar Punkte schlechter bei der Auslastung abgeschnitten haben, was sich auch entsprechend auf deren Ergebnisseite ausgewirkt haben dürfte.
GSC Research: Der Bereich Reha macht ja unter Renditegesichtspunkten wenig Freude. Wie wollen Sie dieser Entwicklung entgegenwirken? Oder, anders gefragt, soll dieses Geschäftsfeld ausgeweitet oder eher aufgegeben werden?
Hölzer: Eine Ausweitung kommt aus jetziger Sicht nicht in Betracht, wir sind ja schließlich keine Masochisten bei der Marseille-Kliniken AG. Aber Spaß beiseite, wir haben ja bereits in der Vergangenheit kommuniziert, dass wir uns mittelfristig aus diesem Geschäft zurückziehen wollen, um uns auf das deutliche spannendere und vor allem erheblich besser planbare Geschäft mit der Pflege zu konzentrieren.
GSC Research: Können Sie den Begriff mittelfristig zeitlich etwas konkreter fassen?
Hölzer: Angesichts der derzeitigen Situation im Rehabereich ist ein Verkauf dieser Aktivitäten zu vernünftigen Konditionen nicht so einfach umzusetzen, so dass ich nicht mit einer entsprechenden Transaktion im jetzt laufenden Geschäftsjahr rechne. Bis zu einer Trennung von diesem Geschäft werden wir jedoch intensiv daran arbeiten, die Auslastung durch eine gezielte Zusammenarbeit mit einzelnen Akut-Häusern oder Betreiberketten in diesem Bereich zu verbessern und damit letztlich auch versuchen, die Ertragslage in diesem Geschäftsbereich zu verbessern.
GSC Research: Weitaus mehr Freude macht Ihnen und den Aktionären natürlich der Bereich Pflege. Dennoch ist auch dort ein leichter Rückgang der Belegungsquote von 96,9 Prozent im Vorjahr auf aktuell 95,4 Prozent zu verzeichnen. Wird sich die Auslastungsquote in der Zukunft wieder an die hohen Werte der Vergangenheit annähern?
Hölzer: Der Rückgang der Auslastungsquote im Bereich Pflege resultiert im Wesentlichen aus der Ausweitung unserer Kapazitäten, die im Berichtszeitraum um 7 Einrichtungen mit insgesamt 770 Betten erweitert wurden. 366 Betten entfallen dabei auf die Übernahme von ehemaligen Häusern der Refugium-Gruppe, die übrigen resultieren aus den Neueröffnungen von Einrichtungen.
GSC Research: Wie lange dauert die Anlaufphase bei den neuen Einrichtungen im Durchschnitt?
Hölzer: Hierbei müssen wir unterscheiden zwischen gänzlich neuen Standorten und übernommenen Einrichtungen. Bei ganz neuen Einrichtungen benötigen wir etwa ein halbes Jahr, um auf Monatsbasis kein Geld mehr zuzuschießen. Ein ausgeglichenes Ergebnis erreichen diese Häuser in der Regel ungefähr nach einem Jahr.
Bei den zugekauften Einrichtungen sieht die Lage etwas anders aus. Dank des laufenden Geschäftsbetriebes verfügen Sie hier in der Regel ja bereits über eine vorzeigbare Auslastung und können nach der Übernahme durch die Neuverhandlung der Pflegesätze und eine Reihe weiterer schnell greifender Optimierungen die Ertragslage sehr zeitnah deutlich verbessern.
Um alle Potentiale zu heben - hierzu zählt auch eine kritische Bestandsaufnahme der personellen Ausstattung sowie der Vergütungsstrukturen in den verschiedenen Bereichen der Einrichtung - benötigen Sie ebenfalls in etwa ein Jahr. Konkret bezogen auf die Übernahme der ehemaligen Refugium-Häuser im vergangenen November haben wir es geschafft, diese im abgelaufenen Geschäftsjahr beim Ergebnis auf eine schwarze Null zu bringen, im laufenden Jahr werden sie positiv zum Ergebnis der Marseille-Kliniken AG beitragen.
GSC Research: Was verstehen Sie unter einer "kritischen Bestandsaufnahme der personellen Ausstattung sowie der Vergütungsstrukturen in den verschiedenen Bereichen der Einrichtung"?
Hölzer: Zum einen überprüfen wir, ob sich der Mix zwischen Fach- und angelernten Kräften in einem pflegetechnisch und auch betriebswirtschaftlich sinnvollen Rahmen bewegt und mit denen in den übrigen Marseille-Häusern vergleichbar ist.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist in der Tat die Fragestellung nach der Vergütungsstruktur der Mitarbeiter. Eine Pflegeeinrichtung verfügt ja neben dem Personal für die Betreuung und Pflege der Patienten auch über weiteres Personal für den Einsatz in der Küche, die Gebäudereinigung, die Wäscherei usw. Vielfach werden jedoch alle Beschäftigten nach dem gleichen Tarif bezahlt, obwohl dieser bei den Mitarbeitern, die nicht im pflegenden Bereich tätig sind, zumeist oberhalb des ansonsten üblichen Branchentarifes liegt.
Diese Kostenoptimierungspotentiale werden von uns ebenfalls konsequent gehoben. Aufgrund der arbeitsrechtlichen Vorschriften wird hierfür jedoch ein zeitlicher Rahmen von rund einem Jahr benötigt.
GSC Research: Im letzten Jahr haben Sie die Bettenzahl um über 11 Prozent gesteigert. Wie sieht ihre Wachstumsprognose für die kommenden Jahre aus?
Hölzer: Wie bereits in der Vergangenheit gesagt haben wir uns klar auf eine Erhöhung der Bettenzahl in den kommenden Jahren eingestellt und dafür auch bereits die administrativen Vorraussetzungen geschaffen. Nur durch eine entsprechende Ausweitung der Bettenzahl werden wir in der Lage sein, weitere Skaleneffekte zu erzielen.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet es, dass wir auch in den kommenden Jahren in einem ähnlichen Volumen wie im letzten Geschäftsjahr wachsen wollen. Dieses Wachstums soll zum einen über den Zukauf von Einrichtungen und zum anderen über die Neueröffnung von Häusern erfolgen. Dabei ist auf ein gesundes Verhältnis zwischen Zukauf und Neueröffnungen zu achten, um trotz des Wachstumskurses eine weiterhin hohe Auslastungsquote sicherzustellen und damit letztendlich die Ertragsseite durch neugebaute Einrichtungen nicht übermäßig zu belasten.
GSC Research: Apropos Neueröffnungen und Zukäufe. Werden Sie bei ihrem Wachstumskurs von der spürbaren Zurückhaltung der Banken bei der Kreditgewährung vor dem Hintergrund der Basel II Diskussion in irgendeiner Weise behindert?
Hölzer: Es ist richtig, dass die Refinanzierung im gegenwärtigen Umfeld nicht einfacher wird. Dabei spielt aber nicht nur die insgesamt restriktivere Kreditvergabepolitik der Banken eine Rolle, sondern auch das allgemein unsichere konjunkturelle Umfeld sowie spezifische Vorbehalte der Kreditinstitute bei der Finanzierung von Betreiberimmobilien und der Pflegebranche.
Wir haben uns jedoch bereits frühzeitig auch nach alternativen Finanzierungsformen umgeschaut, um die Abhängigkeit von der Kreditfinanzierung durch Banken zu verringern, und unlängst mit der Albis-Gruppe, einem Beteiligungsunternehmen der Drees & Sommer AG, einen Rahmenvertrag geschlossen. Derzeit befinden sich verschiedene Projekte in der Prüfphase und wir erwarten, dass in Kürze das erste Projekt anläuft und es nicht bei der Finanzierung nur eines Hauses bleibt.
GSC Research: Lassen Sie uns abschließend noch auf einige aktuelle gesundheitspolitische Punkte zu sprechen kommen, wie die Einführungen der Fallpauschalen (DRG) sowie das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur arbeitsrechtlichen Einstufung von Bereitschaftsdiensten.
Hölzer: Die viel diskutierten Fallpauschalen (DRG`s) sind in der Zwischenzeit eingeführt worden, ohne dass bislang der empirische Beweis erbracht werden konnte, dass ihre Einführung zu einer Verkürzung der Liegezeiten und damit auch zu einer Eindämmung der Kosten beigetragen hat.
Zum Thema der arbeitsrechtlichen Behandlung von Bereitschaftsdiensten von Ärzten möchte ich sagen, dass wir dies bei Marseille als nicht besonders materiell erachten und von überschaubaren Auswirkungen auf der Kostenseite ausgehen. Bedenken Sie bitte hierbei, dass im Pflegebereich überhaupt keine Ärztestellen notwendig sind, sondern von dieser Rechtssprechung nur unser Segment Reha betroffen ist. Im Übrigen liegen wir mit dieser Einschätzung auf einer ähnlichen Linie wie die Rhön-Klinikum AG in einer unlängst von ihr veröffentlichen Einschätzung zu diesem Thema.
GSC Research: Herr Hölzer, vielen Dank für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg.