Die 1984 gegründete Marseille-Kliniken AG ist einer der führenden privaten Anbieter von Altenpflege- und Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland. Marseille betreibt zur Zeit 50 Einrichtungen mit einer Bettenzahl von 6.540. 14 weitere Standorte in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind gesichert und werden in den nächsten Jahren in Betrieb genommen.
Am 4. September 2002 veröffentlichte das SDAX-Unternehmen die vorläufigen Ergebnisse des zum 30.6.2002 abgelaufenen Geschäftsjahres. Die Planzahlen wurden leicht übertroffen und weisen einen Anstieg von 7,6 Prozent beim Umsatz sowie eine 20prozentige Verbesserung beim DVFA-Ergebnis je Aktie auf, das bei 0,83 Euro lag. Mit einem aktuellen Kurs um 7,80 Euro hat die Aktie der Marseille-Kliniken AG auf Basis des vergangenen Jahres damit ein KGV knapp unter 10.
Stephan Kraemer von GSC Research sprach mit dem (kurz nach Durchführung dieses Interviews zum Vorstandsvorsitzenden bestellten) Finanzvorstand Axel Hölzer über die Ergebnisse des letzten Geschäftsjahres, den Ausblick für das laufende Jahr sowie die Entwicklungen im Markt und beim Großaktionär.
Hölzer: „Ein Prozentpunkt mehr Belegung sind 1,5 Mio. Euro mehr Ergebnis“
GSC Research: In der vergangenen Woche haben Sie die vorläufigen Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr (1.7.01-30.6.02) vorgelegt. Dabei haben Sie die Prognosen für Umsatz und Ergebnis leicht übertroffen und insbesondere beim Ergebnis je Aktie mit 20 Prozent ein deutliches Wachstum erreicht. Ist für die Verbesserung des Ergebnisses allein die bessere Auslastung – 0,7 Prozentpunkte mehr – verantwortlich?
Hölzer: Im Wesentlichen ist es die deutlich bessere Belegungsquote im Pflegebereich, die von 94,9 Prozent auf 96,7 Prozent gestiegen ist. Netto, da haben Sie vollkommen Recht, ist die Belegungsquote bei Marseille-Kliniken nur um 0,7 Prozentpunkte gestiegen. Aber die Ergebnisqualität wird bei uns in erheblichem Maße vom Pflegebereich bestimmt, so dass eine Verbesserung um fast 2 Prozentpunkte einen erheblichen Betrag ausmacht.
GSC Research: Was bedeutet ein Prozentpunkt mehr Belegung für Sie in Euro?
Hölzer: Im Pflegebereich ungefähr 1,5 Mio. Euro.
GSC Research: Haben Sie mit 96,7 Prozent Belegungsquote im Bereich Pflege bereits das Ende der Fahnenstange erreicht?
Hölzer: Eine weitere Steigerung ist sicher schwierig, zumal wir in diesem Jahr mit Fördermitteln voraussichtlich drei Objekte umbauen, was sich negativ auf die Auslastung auswirkt. Deswegen erwarten wir für das laufende Jahr keine signifikante Steigerung. Aber selbst ohne diese Umbaumaßnahmen wäre eine Steigerung sehr schwer zu erreichen.
GSC Research: Da Sie neue Häuser in Betrieb nehmen werden, wird die Auslastung zukünftig also eher sinken.
Hölzer: In der Anlaufphase der neuen Häuser wird sich dies sicher negativ auf die Auslastung der Division Pflege auswirken. Da die neuen Standorte aber kontinuierlich eröffnet werden, wirkt sich dies auf die Division bei der Auslastung nur nach dem Komma aus.
GSC Research: Im Reha-Bereich ist die Belegungsquote durch die Übernahme der Klinik in Bad König auf 88,1 Prozent zurück gegangen. Mit welchen Maßnahmen bringen Sie neue Kliniken auf das Belegungsniveau von Marseille-Kliniken?
Hölzer: Das fängt mit den Management- und Organisationsstrukturen an, die angepasst werden müssen. Dann ist es im Reha-Bereich wichtig, dass man sich über neue Belegungsträger Gedanken macht, d.h. neben den gesetzlichen Belegungsträgern BfA und Landesversicherungsanstalten als auch mit Krankenkassen und auch mit den Krankenhäusern direkt zusammen arbeitet, um die Nachsorge-Patienten zu betreuen.
Bad König ist eine Klinik, die sich auf Onkologie spezialisiert hat. In diesem Bereich ist sicher eine intensive Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern möglich. Wir haben erste positive Signale im laufenden Geschäftsjahr erhalten, so dass wir zuversichtlich sind, die Belegungsquote auf über 90 Prozent zu steigern, was vorher nicht der Fall war. Insofern greifen die eingeleiteten Maßnahmen bereits.
GSC Research: Die Patienten der Krankenhäuser sind ja auch vorher schon in der Nachsorge betreut worden. Wie überzeugen Sie die Krankenhäuser, mit Marseille-Kliniken zusammen zu arbeiten?
Hölzer: Wichtig ist in erster Linie die medizinische Kompetenz der Klinik in Gestalt des Chefarztes. Auf dieser Ebene muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, da auf preislicher Ebene kaum Verhandlungsspielraum besteht. Entscheidend ist neben der Person des Chefarztes das Konzept, das der Klinikbetreiber vorlegt. Dieses Konzept muss add-on’s bieten, um den Zuschlag zu erhalten. Das kann zum Beispiel auch die Tatsache sein, dass die Patienten vom Krankenhaus abgeholt werden und nicht gebracht werden müssen.
GSC Research: Haben Sie den Chefarzt von der Klinik Bad König gewechselt?
Hölzer: Nein. Wir suchen aber eine Ergänzung in einer neuen Indikation, die dieser Chefarzt so nicht abdeckt.
GSC Research: Wie lange dauert es, bis diese Maßnahmen greifen, und mit welchen Kosten ist dies verbunden?
Hölzer: Die Klinik Bad König ist sicher ein Sonderfall, da wir im Reha-Bereich kaum noch neue Häuser übernehmen. Mit einem Jahr muss man aber rechnen. Die Kosten, die entstehen, betreffen keine Baumaßnahmen, sondern Investitionen in Konzepte, Marketing und Personal. Insgesamt beläuft sich das auf einen knapp sechsstelligen Eurobetrag. Im Verhältnis zu dem Umsatz, den so ein Haus macht, ist das eine überschaubare Größenordnung.
GSC Research: Im Geschäftsjahr 00/01 haben Sie eine EBITDA-Quote von 23,6 Prozent vom Umsatz erreicht. Wie hoch lag die EBITDA-Quote im abgelaufenen Geschäftsjahr?
Hölzer: Die wird in diesem Jahr ein bisschen niedriger sein, da wir im letzten Geschäftsjahr erhebliche Vorleistungen für das weitere Wachstum von Marseille-Kliniken erbracht haben. Wir haben die Kapazitäten im Bereich der Pflege erhöht und neue Leute eingestellt, die hinzukommende Häuser führen sollen. Dies hat sich auch auf das Ergebnis ausgewirkt.
Allerdings können diese neuen Personen enorm Zeit und Geld einsparen, wenn es gelingt, ein Haus nach der Übernahme in sechs Monaten statt in einem Jahr neu auszurichten. Die Beträge, die wir an dieser Stelle einsparen, übersteigen die momentanen Mehrausgaben um ein Vielfaches. Deswegen ist ein Pre-Opening-Management mit gut eingearbeiteten Leuten für uns das A und O.
Den ersten Nutzen aus der intensiven Vorbereitung werden wir mit den vier in diesem Jahr zu eröffnenden Häusern ziehen. Gerade im Hinblick auf das geplante weitere Wachstum der Gruppe muss das Verfahren zur Übernahme und Restrukturierung der Häuser weitgehend standardisiert sein, um nicht jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Dafür benötigt man aber Man Power, die wir in den letzten Monaten an Bord geholt haben.
GSC Research: Der free cash flow lag in den letzten Jahren mit zwischen minus 2 und minus 10,8 Mio. Euro im negativen Bereich. Konnten Sie im letzten Geschäftsjahr einen positiven free cash flow erzielen?
Hölzer: Nein, das haben wir noch nicht ganz erreicht. Bei einem Unternehmen wie Marseille-Kliniken, das 70 Prozent der Immobilien im Eigenbestand hat, hängt das auch davon ab, ob größere Umbau- und Investitionsmaßnahmen durchgeführt wurden, die über die erforderliche Eigenmittelquote den cash flow belasten. Wir haben im letzten Jahr zwei Amarita-Häuser fertig gestellt, die jetzt abgegeben werden sollen.
Ein weiterer Teil, der Geldmittel gebunden hat, hängt mit unserem Vergleich in Brandenburg zusammen. Hier werden zwei Einrichtungen modernisiert, für die es zwar Fördermittel gibt, in die wir aber auch Eigenmittel investieren müssen. Wir erwarten einen positiven free cash flow nach der Fertigstellung dieser Anlagen, da unser Bestand dann in der Modernisierung abgeschlossen ist und das weitere Wachstum im Wesentlichen durch die Anmietung neuer Häuser und nicht mehr durch den Kauf erfolgen soll. Dadurch wird kein cash mehr gebunden. Dennoch werden wir dieses Geschäftsjahr noch benötigen, um einen positiven free cash flow zu erzielen.
GSC Research: Wenn Sie sagen „nicht ganz erreicht“, lagen Sie dann eher bei minus 2 oder bei minus 11 Mio. Euro?
Hölzer: Eher bei minus 2 Mio. Euro.
GSC Research: Die ersten zwei Monate des neuen Geschäftsjahres sind vorbei. Wie verlief der Start in 2002/03?
Hölzer: Der Start verlief zufriedenstellend. Wir haben im Pflege-Bereich unser Niveau halten können und konnten uns im Reha-Bereich signifikant verbessern. Diesen Trend zu verstetigen, ist das Ziel der nächsten Monate, um die geplanten Zahlen zu erreichen.
GSC Research: Ihre Planung sieht für das laufende Geschäftsjahr eine Steigerung beim Umsatz um gut 20 Prozent und eine Verbesserung des DVFA-Ergebnisses um etwa 60 Prozent vor. Ein Großteil des Wachstums resultiert aus der Übernahme von Pflegeeinrichtungen aus der öffentlichen Hand. Diese Häuser besitzen aber nicht die Struktur und Profitabilität der Marseille-Kliniken. Wie erreichen Sie trotzdem die überproportionale Ergebnisverbesserung?
Hölzer: Wir wollen durch den Neubau von gemieteten Objekten wachsen, durch weitere Amarita-Häuser und die Übernahme von Pflegeeinrichtungen aus privater oder öffentlicher Hand. Der wesentliche Teil des Wachstums soll aber von den gemieteten Objekten kommen und nicht von den Pflegeeinrichtungen der öffentlichen Hand. Im laufenden Jahr werden das allein vier Häuser mit rund 700 Betten sein. Dazu kann eine weitere Übernahme mehrerer voll ausgelasteter Häuser kommen. Das ist aber noch nicht in trockenen Tüchern.
Für das laufende Jahr gehen wir daher von einer Umsatzsteigerung wie im vergangenen Jahr aus. Sollte auch noch der Umsatz durch die eben angesprochene Übernahme besser ausfallen, ist das schön, kann im Moment aber nicht endgültig kalkuliert werden. Ganz entscheidend ist auch die Fertigstellung der Häuser. Wir gucken jede Woche auf den Baufortschritt und ob wir noch im Plan liegen, weil jede Verzögerung natürlich Auswirkungen auf das Ergebnis hat. Aber unsere Planung haben wir sehr konservativ aufgestellt, so dass die Zahlen auch erreicht werden sollten.
GSC Research: D.h. die überproportionale Ergebnisverbesserung wird durch das schnellere Erreichen des Marseille-Profitabilitäts-Niveaus bei der Übernahme neuer Häuser erzielt?
Hölzer: Richtig. Wir gehen davon aus, dass wir bei der Auslastung im Reha-Bereich zulegen und Betten in der Pflege das ganze Jahr belegen können, die uns vorher nicht ganzjährig zur Verfügung standen, und dass wir weiteres Wachstum über neue Häuser bekommen. In toto ergibt das eine positive Umsatz- und Ergebnisentwicklung. Eine genaue Prognose werden wir im Rahmen unserer Bilanzpressekonferenz am 9. Oktober in Berlin abgeben.
GSC Research: Im Spiegel wird berichtet, dass Marseille-Kliniken Sal. Oppenheim damit beauftragt hat, einen strategischen Partner für Marseille zu finden. Ulrich Marseille sei dabei für alle Optionen offen, was einen Verkauf der eigenen 75 Prozent an Marseille-Kliniken einschließt. Andererseits bekräftigen die Marseille-Kliniken, dass man sich im Gegenteil bei der anstehenden Konsolidierung des Pflege- und Reha-Marktes als Käufer anderer Einrichtungen betätigen will. Können Sie diesen Sachverhalt aufklären?
Hölzer: Ich denke nicht, dass das widersprüchlich ist. Es ist sicher so, dass bei Berücksichtigung der Tatsache, dass im Markt derzeit eine Konsolidierung ansteht, Marseille-Kliniken davon einer der Profiteure sein könnte. Dazu müssen auf der anderen Seite Finanziers gefunden werden. Über den Kapitalmarkt ist dies derzeit schwer möglich, so dass sich aufgrund der Aktionärsstruktur von Marseille-Kliniken das gewählte Vorgehen anbietet. Für den Mehrheitsaktionär mag es daher interessant sein, über eine Privatplatzierung zum einen den free float zu erhöhen und zum anderen weitere Investoren/Aktionäre zur Verwirklichung der Expansionsmöglichkeiten zu finden.
GSC Research: Im Ergebnis kann das dazu führen, dass die Familie Marseille nach der Platzierung weniger als 50 Prozent der Aktien hält.
Hölzer: Über Prozentsätze möchte ich hier nicht spekulieren. Aber die Familie ist sicher bereit, externe Aktionäre aufzunehmen. Dabei spielen Preis und Möglichkeiten, die sich durch den Investor eröffnen, eine entscheidende Rolle.
GSC Research: Wenn die Marseille-Kliniken AG als Aufkäufer bei der Konsolidierung des Marktes auftritt, wird Kapital benötigt, was sich derzeit – wie Sie gesagt haben – am Kapitalmarkt kaum beschaffen lässt. Wenn auch die Platzierung über Sal. Oppenheim nicht zum Erfolg führt, wie soll dann eine Expansion finanziert werden?
Hölzer: Wir haben nach außen in unseren Planungen immer ein organisches Wachstum dargestellt, so dass wir über den Abschluss von Mietverträgen auch in diesem Marktumfeld wachsen können. In diesem Bereich finden wir nach wie vor Investoren, weil das Geschäft relativ stabile cash flows generiert und wenig konjunkturempfindlich ist.
Zum anderen wollen wir uns von einem Teil unserer Immobilien trennen, was zu einer Verschlankung der Bilanz und zur Hebung von stillen Reserven führt, aber auch zu mehr Flexibilität, was eigene Kapitalmaßnahmen im Markt angeht. Dies können wir unabhängig von einer möglichen Restrukturierung des Aktionärskreises nutzen, um unsere eigenen Erwartungen für die nächsten Jahre erfüllen zu können. Wir sind also nicht darauf angewiesen, eine Anleihe zu begeben, um diese Wachstumsziele zu erreichen.
Zudem gibt es eine kritische Grenze, was an Wachstum von einem Unternehmen verkraftet werden kann. Marseille-Kliniken ist in den letzten Jahren mit 7 bis 8 Prozent im Umsatz gewachsen. Keine exorbitanten Raten, aber auch das ist erst einmal zu verdauen, um ertragserhöhend zu wachsen.
GSC Research: Werden wir mittelfristig amerikanische Verhältnisse bei der Größe der Anbieter im Markt erleben?
Hölzer: Es hat zumindest Platz für solche Anbieter. Der zweitgrößte Amerikaner hat 16.000 Betten. Wenn man sich den deutschen Markt ansieht, wüßte ich nicht, warum man eine solche Größenordnung hierzulande nicht erreichen können sollte. Es ist letztendlich auch im Interesse der Kunden, dass sie eine Wahl haben zwischen gemeinnützigen Trägern und privaten Anbietern. Die gemeinnützigen Anbieter sind bereits sehr groß. Die privaten Anbieter ziehen jetzt nach, weil aufgrund der Nachfrageentwicklung benötigten Betten aufgrund der fehlenden öffentlichen Mittel von Privaten finanziert werden müssen. Insofern sehe ich sogar Platz für mehrere Anbieter in der genannten Größenordnung.
GSC Research: Herr Hölzer, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.