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Analyse Marseille-Kliniken AG - Mit "verschenkter" Neuemission risikolos Geld verdienen?
Im Dezember des vergangenen Jahres wurde auf der Hauptversammlung der Marseille-Kliniken AG die Abspaltung der Tochtergesellschaft SCS Standard Computersysteme AG beschlossen. Demzufolge werden den Aktionären der Marseille-Kliniken für jeweils 10 Aktien 1 Aktie der SCS übertragen. Maßgeblicher Stichtag für die Übertragung ist der Tag der Eintragung der Abspaltung ins Handelsregister. Diese Eintragung wird für die kommenden Tage erwartet. In einem nächsten Schritt sollen die Aktien der SCS Mitte dieses Jahres am Neuen Markt eingeführt werden.

Im Internet wurde dies von diversen Boardteilnehmer als eine „geschenkte Neuemission“ gefeiert. Für uns Anlass genug, nach den Hintergründen und dem Potential dieser Geschichte zu recherchieren.

Nach vierjähriger Entwicklungsarbeit wurde die SCS im vergangenen Jahr aus der internen Datenverarbeitung der Marseille-Kliniken in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert und bietet seitdem eigenständig Softwarelösungen für den Gesundheits- und Pflegebereich an. Die in Kooperation mit der debis Systemhaus und der Lufthansa Systems entwickelte Software deckt dabei die wesentlichen Planungs- und Kontrollaufgaben im Klinikbereich ab.

Nach Angaben der SCS bewegt sich die Gesellschaft in einem Markt, der momentan ein Volumen von etwa 220 Mio. DM aufweist. Bei einem für das laufenden Geschäftsjahr (endend am 30.06) erwarteten Umsatz von 6,5 Mio. DM kommt SCS somit auf einen Marktanteil von ca. 3%. Die Erlöse aus dem Börsengang am Neuen Markt Mitte dieses Jahres sollen - bislang leider sehr wenig konkretisiert angegeben - dem weiteren Wachstum, der Internationalisierung und der Diversifikation dienen. Quantifiziert wurden diese Ziele bisher nur, indem für das kommende Geschäftsjahr ein Umsatz von 15 Mio. DM bei einem Gewinn aus dem operativen Geschäft von 4 Mio. DM als Plangrößen genannt wurden. In drei Jahren soll ein Umsatz von 25 Mio. DM erreicht werden.

Letzte offizielle Angaben zum bisherigen Geschäftsbetrieb der SCS sind lediglich im Geschäftsbericht 98/99 der Marseille-Kliniken zu finden. Demzufolge wurde die SCS-Software bislang an Träger von 10.000 Betten verkauft. Darüber hinaus sollen Träger von weiteren 79.000 Betten Interesse an der Software bekundet haben. Der Gesamtmarkt setzt sich momentan aus etwa 8.100 Einrichtungen mit 700.000 Betten zusammen.

Träger mit über 2.000 Betten sollen durch Direktvertrieb, kleinere Träger im Rahmen von Kooperationen akquiriert werden. Im September 1999 konnten Kooperationen mit der Einkaufsgenossenschaft WIBU, die über rund 12.000 Kunden im Gesundheitssektor verfügt, und mit der DATEV, einem großen Anbieter von Software für die Finanzbuchhaltung und Personalabrechnung, bekannt gegeben werden.

Es ist leider nicht bekannt, wie viele der oben genannten Interessenten sich mittlerweile für die Software von SCS entschieden haben und wie sich die Kooperationen mit der WIBU und der DATEV entwickeln. Erst Einzelheiten hierüber, die spätestens im Rahmen des Börsenganges der SCS veröffentlicht werden, dürften Aufschluß über die Erfolgsaussichten der Gesellschaften geben. So ist davon auszugehen, daß ein großer Teil der bisherigen SCS-Kunden dem Kreis des Marseille-Kliniken-Konzernes angehört.

Entscheidend für das Erreichen der prognostizierten Wachstumszahlen dürfte aber die Fähigkeit von SCS sein, in Zukunft auch Aufträge von Klinikträgern außerhalb des Konzerns zu akquirieren. Sollte SCS nicht in der Lage sein, schneller zu wachsen als der Gesamtmarkt und somit die eigenen Marktposition nachhaltig zu stärken, wird sich die Gesellschaft aller Voraussicht nach auf Dauer nicht selbständig behaupten können. In diesem Fall könnte sich SCS zur börsennotierten EDV-Abteilung der Marseille-Kliniken zurückentwickeln.

Angesichts des für Mitte 2000 angekündigten IPO´s der SCS am Neuen Markt prophezeien euphorische Boardteilnehmer bereits heute Kurse für die SCS-Aktie im hohen zweistelligen Bereich. Mit den bislang öffentlich zugänglichen Informationen sind derartige Schätzungen jedoch kaum möglich. Es ist lediglich bekannt, daß den Aktionären der Marseille-Kliniken mit Eintragung der Abspaltung der SCS vom Konzern 1,215 Mio. Aktien übertragen werden. Neben der oben dargestellten Unsicherheit bezüglich der fundamentalen Entwicklung von SCS stehen heute auch noch keine Informationen über das Ausmaß einer Kapitalerhöhung im Rahmen des Börsenganges zur Verfügung, so dass weder eine hinreichend konkretisierte Zahl ausstehender Aktien, noch gesicherte Umsatz- und Ertragszahlen vorhanden sind. Somit liegen wesentliche Elemente für eine Abschätzung der möglichen Börsenbewertung der SCS nicht vor.

Sofern der Börsengang von SCS in ein positives Börsenumfeld fällt, ist bei einem der ersten „IT-Anbieter im Healthcare-Bereich“ am Neuen Markt zumindest kurzfristig mit ordentlichen Zeichnungsgewinnen zu rechnen. Heutige Aktionäre der Marseille-Kliniken, die ihre SCS-Aktien „umsonst“ bekommen haben, werden hiervon überproportional profitieren. Die Frage ist jedoch, ob diese Aktionäre kurzfristig ihre Gewinne realisieren können, da Aktien von Altaktionären bei Emissionen am Neuen Markt in der Regel einer Sperrfrist unterliegen, während der die Aktien nicht gehandelt werden können.

Anleger, die sich heute im Hinblick auf den SCS-Börsengang Aktien der Marseille-Kliniken kaufen, dürfen dies demzufolge nicht mit Blick auf kurzfristige Zeichnungsgewinne tun, sondern müssen ihr Engagement als längerfristiges Investments in die SCS-Aktien sehen. Hieraus ergibt sich aufgrund der oben dargestellten verschiedenartigen Unsicherheiten ein heute kaum quantifizierbares Chance-Risiko-Verhältnis.

Darüber hinaus sollten Investoren das Risiko, das sich aus dem Halten von Aktien der Marseille-Kliniken ergibt, berücksichtigen. So hat die Aktie seit ihrem Zwischenhoch im Oktober bis Anfang Februar fast 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Im Hinblick auf die kurz bevorstehende Eintragung der Abspaltung ins Handelsregister als maßgeblichen Zeitpunkt für den „Gratiserhalt“ von SCS-Aktien konnten die Aktien von Marseille-Kliniken wieder über 20 Prozent zulegen und notieren aktuell bei etwa 10,5 Euro.

Gerade dieser starke Anstieg im Vorfeld des Stichtages ist ein deutliches Zeichen dafür, daß momentan viele kurzfristig orientierte Anleger in das Papier einsteigen. Somit ist mit Ablauf des für die Zuteilung der SCS-Aktien maßgeblichen Stichtages ein herber Abschlag auf den Kurs der Muttergesellschaft nicht unwahrscheinlich.

Die Situation bei Marseille-Kliniken macht momentan nicht den Eindruck, als ob sich der Aktienkurs ohne einen Sondereinfluß wie die SCS-Abspaltung erholen könnte. Zwar hat der Konzern die im wesentlichen durch die Gesundheitsreform verursachte Krise mittlerweile soweit überwunden, dass wieder ein positiver Jahresüberschuß ausgewiesen werden konnte, zurückzuführen ist dies jedoch auch auf kreative Bilanzpolitik.

So wurden im Rahmen von „sale&lease back“-Maßnahmen stille Reserven gehoben. Desweiteren wurde im Beteiligungsbestand vom gemilderten Niederstwertprinzip Gebrauch gemacht, wonach Abschreibungen im Anlagevermögen nicht vorgenommen werden müssen, wenn die Wertminderung voraussichtlich nur vorübergehend ist. Ohne diese Maßnahmen hätte mit Sicherheit kein so positives Ergebnis ausgewiesen werden können.

Die Konzernbilanz von Marseille-Kliniken ist momentan gekennzeichnet durch eine hohe Verschuldung und eine dünne Eigenkapitaldecke: im Jahresabschluß 98/ 99 standen dem Anlagevermögen von 670 Mio. DM lediglich ein Eigenkapital von 160 Mio. DM und Finanzschulden von ungefähr 500 Mio. DM gegenüber.

Angesichts dieser Situation innerhalb des Konzerns fragten sich Außenstehende, wieso im vergangenen Geschäftsjahr Darlehen von bis zu 20,2 Mio. DM an Vorstandsmitglieder vergeben wurde. Das ohnehin schon angekratzte Image der Gesellschaft litt darüber hinaus weiter durch gerichtliche Auseinandersetzungen mit der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) und einem Disput mit dem Manager-Magazin, den der Platow-Brief als „Schlammschlacht im Internet“ bezeichnete.

Ein langfristiges Investment in die Aktien der Marseille-Kliniken drängt sich also momentan nicht unbedingt auf. Somit stellt sich die Frage, ob sich ein kurzfristiges Investment im Hinblick auf den Erhalt der SCS-Aktien lohnt.

Wie bereits erwähnt, ist nach der Eintragung der Abspaltung der SCS AG ins Handelsregister ein Abschlag bei den Aktien der Marseille-Kliniken nicht unwahrscheinlich. Darüber hinaus muß die Übertragung der SCS-Aktien als „Zeichnung ohne Emissionsprospekt“ gewertet werden: Anleger kaufen sich mit ihrem zu erwartenden Verlust bei ihren Marseille-Kliniken-Aktien salopp ausgedrückt eine Katze im Sack, die sie erst genauer betrachten können, wenn der Kauf schon abgewickelt ist. Des weiteren muß die wahrscheinliche Verkaufssperre für Altaktionäre der SCS nach dem Börsengang beachtet werden, womit Altaktionäre zu Langfristinvestoren werden.

Faßt man sämtliche Imponderabilien zusammen, ist ein kurzfristiges Engagement in Aktien der Marseille-Kliniken nur spekulativen Anlegern zu raten. Konservativen und risikoaversen Anlegern, die in Marseille-Kliniken investiert sind, empfehlen wir, zumindest einen Teil ihrer Position bei den erhöhten Kursen glattzustellen.



Veröffentlichungsdatum: 22.02.2000 - 12:00
Redakteur: mku
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