Die Hauptversammlung der PrimaCom AG hat am 08. Juni 2004 als Gegenantrag zu dem abgelehnten Purchase and Sale Agreement (zu dessen Inhalt vgl. AdHoc-Mitteilung der PrimaCom AG vom 16. April 2004) einem Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung zugestimmt mit folgenden Prüfungsaufträgen:
1. "Es soll untersucht werden, ob Vorstand und Aufsichtsrat im Hinblick auf den abgeschlossenen PSA, dem wir heute unter TOP 5 zustimmen sollen, ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sind."2. "Es soll insbesondere geprüft werden, ob Liberty oder UPC in diesem Zusammenhang Sondervorteile gewährt oder in Aussicht gestellt worden sind. Daher soll vor allem untersucht werden, ob es bereits Absprachen im Hinblick auf den Verkauf von Unternehmensbestandteilen, hier vor allem Multikabel, gibt."3. "Es soll weiter geprüft werden, ob die Second Secured Facilitiy sittenwidrig ist, insbesondere im Zusammenhang mit den hohen Beraterkosten."4. "Es soll geprüft werden, ob sich die Kreditgeber treuwidrig verhalten, wenn sie statt einer Wandlung in Geschäftsanteile der PrimaCom Management GmbH den Abschluss des PSA fordern."5. "Es soll geprüft werden, ob eine Ad-hoc-Mitteilungspflicht schon am 16.02.2004 bestand, und wann die Verlustanzeige nach § 92 Abs. 1 AktG hätte erfolgen müssen."
Die zum Sonderprüfer bestellte Wirtschaftsprüfersozietät LKC Kemper Czarske v. Gronau Berz in Grünwald bei München hat am 21. Dezember 2004 den Bericht über das Ergebnis dieser Sonderprüfung gemäß § 145 Abs. 5 AktG fertig gestellt.
Der Inhalt dieses Berichtes lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1.1 Sonderprüfungsauftrag Nr. 1
Die Feststellungen der Sonderprüfung zum Sonderprüfungsauftrag Nr. 1 "es soll untersucht werden, ob Vorstand und Aufsichtsrat im Hinblick auf den abgeschlossenen PSA, dem wir heute unter TOP 5 zustimmen sollen, ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sind," lassen sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem PSA nicht mit der erforderlichen Stimmenmehrheit zugestimmt worden ist, wie folgt zusammenfassen:
Bei der Prüfung der aufgeworfenen Rechtsfrage eines möglichen Sorgfaltspflichtverstoßes der Leitungsorgane der PrimaCom AG war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Prüfungsfragen durch die Aktionäre zu einem Zeitpunkt formuliert wurden, in dem diese noch nicht absehen konnten, dass dem PSA durch die Hauptversammlung nicht mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt werden würde.
Unabhängig von der Frage, ob die Leitungsorgane bei der Planung und Vorbereitung des PSA die Interessen der Gesellschaft auf bestmögliche Weise vertreten und gefördert haben und ob sie dabei immer berücksichtigt haben, dass sie als Vorstände und Aufsichtsräte der PrimaCom AG primär dieser Gesellschaft gegenüber und nicht ausschließlich dem Geschäftsbetrieb der Tochtergesellschaften oder ihren Geschäftsführungspositionen verpflichtet gewesen sind, ist folgende Grundwertung des Aktienrechts zu beachten.
Wäre dem PSA mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt worden und dieser vollzogen worden, so wäre für die Beantwortung der Sonderprüfungsfrage zu berücksichtigen gewesen, dass eine Veräußerung des gesamten Geschäftsbetriebs und die anschließende Liquidation der Gesellschaft eine zulässige Desinvestitionsentscheidung der Aktionärsversammlung - und damit gerade nicht ein sorgfaltswidriger Entschluss des Vorstands - auf Basis einer größtmöglichen gesetzlichen Zustimmungsquote gewesen und einer materiellen Beschlusskontrolle nicht zugänglich wäre.
Da dem PSA jedoch nicht zugestimmt worden ist und dieser bis dahin schwebend unwirksame Vertrag endgültig unwirksam geworden ist, ist auf eine hypothetische Beurteilung eines Sorgfaltspflichtverstoßes -
zudem unter der Prämisse des vorstehenden Ergebnisses - bei Vertragsdurchführung nicht einzugehen.
Die Frage der Anwendung der notwendigen Sorgfalt der Leitungsorgane ist daher auf Einzelfragen im Zusammenhang mit der Planung und der Vorbereitung des PSA zu reduzieren.
Im Rahmen dieser Einzelfragen war es weder sorgfaltswidrig, dass der Vorstand den PSA grundsätzlich anstrebte, noch dass er dies ohne vorherige Einwilligung der Hauptversammlung tat.
Nach dem Scheitern des PSA war als derartige Einzelfrage zu beurteilen, ob der Vorstand für die entstandenen Beraterkosten aufzukommen hat und ob die Auswahl der Berater gewissenhaft erfolgte. Die Sonderprüfung ist hier zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beauftragung sämtlicher Berater nicht zu beanstanden ist, auch wenn die Beauftragung der Fa. Kane Reece hier kritisch zu beurteilen ist. eine Einschätzung die aber durch die Schlechtleistung der Fa. Kane Reece überlagert wird.
Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Vorstands durch einen möglichen Bruch seiner Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber der Gesellschaft durch die Zustimmung zu mehreren Due Diligence-Prüfungen ist nach unserer Einschätzung nicht gegeben; zum einen da die Preisgabe auch sensibler Informationen im konkreten Fall der Übertragung des gesamten Geschäftsbetriebes gegen eine umfassende Entschuldung durch das Interesse der Gesellschaft trotz anschließender Liquidation gedeckt wäre, zum anderen flankierten Verschwiegenheitsvereinbarungen die jeweiligen Prüfungen und ferner haben nach unserer Auffassung keine ungewöhnlich sensiblen Daten ihren Niederschlag in den jeweiligen Berichten gefunden.
Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Vorstands durch die Präferenz für den PSA anstelle der Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten kann nicht nachgewiesen werden, da sich der Vorstand mit Hilfe der Beratung von Morgan Stanley durchaus um Alternativen zur Refinanzierung bemüht hat. Ob hierbei die Verhandlungsposition der SSF-Gläubiger falsch eingeschätzt und überbewertet wurde, ob Alternativen daher zu schnell abgelehnt bzw. nicht detailliert genug geprüft wurden oder ob andere Angebote (bewusst) nicht wahrgenommen wurden, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen. Die bisher fehlende Bemühung um die (gerichtliche) Beseitigung der belastenden und blockierenden Kredite, stellt auch keinen Sorgfaltspflichtverstoßdar, da sich der Vorstand sowohl mit der Beauftragung der Beratungsgesellschaft Morgan Stanley, als auch mit der ständigen Beauftragung rechtlicher Berater, in diesem Punkt entlasten kann.
Sorgfaltspflichtverletzungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit seiner Zustimmung zum PSA sind nach unseren Prüfungsfeststellungen nicht ersichtlich.
1.2 Sonderprüfungsauftrag Nr. 2
Die Feststellungen der Sonderprüfung zum Sonderprüfungsauftrag Nr.2 "es soll insbesondere geprüft werden, ob Liberty oder UPC in diesem Zusammenhang Sondervorteile gewährt oder in Aussicht gestellt worden sind. Daher soll vor allem untersucht werden, ob es bereits Absprachen im Hinblick auf den Verkauf von Unternehmensbestandteilen, hier vor allem Multikabel, gibt." lassen sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem PSA nicht mit der erforderlichen Stimmenmehrheit zugestimmt worden ist, wie folgt zusammenfassen:
Die Firmengruppe Liberty/UGC/UPC einschließlich diverser Tochterfirmen hat bereits im Juli 2003 ihr Interesse bekundet, die Firma Multikabel einschließlich deren Muttergesellschaft PrimaCom Netherlands Holding B.V. von der PrimaCom Management GmbH zu erwerben.
Der Liberty-Gruppe kam es nicht darauf an, speziell mit der vorgeschalteten Strukturmaßnahme des PSA die Kontrolle über die Fa. Multikabel zu erlangen; man wäre auch bereit gewesen, die Firma direkt von der PrimaCom Management GmbH zu erwerben. Nach dem Erwerb eines Anteils der Kreditforderungen (SSF) gegen die PrimaCom AG durch die Apollo-Gruppe war aus Sicht der Liberty-Gruppe ein Einstieg auf direktem Weg nicht mehr möglich.
Die Liberty-Gruppe verhandelte daraufhin mit den Firmen Apollo und JP Morgan, bzw. denen zurechenbaren Tochtergesellschaften separat über einen Erwerb der Fa. Multikabel nach dem Vollzug des PSA.
Die Veräußerung der Fa. PrimaCom Netherlands Holding B.V. einschließlich deren Tochtergesellschaft Multikabel an die von der Liberty/UGC/UPC-Gruppe kontrollierte Gesellschaft UGC Europe B.V. war bereits endverhandelt und die Verträge unterschriftsreif. Der Kaufpreis sollte - in Abhängigkeit von einigen Variabeln - rund EUR 430 Mio. betragen.
Der damalige Vorstand der Gesellschaft, Herr Prof. Dr. Schwenkedel und Herr Dr. Kircher, war in die eigentlichen Verhandlungen über diesen Verkauf nicht involviert. Ihnen und den rechtlichen Beratern der PrimaCom AG wurden die vollständig ausgehandelten Verträge nur zur Einholung ergänzender Informationen zur Vervollständigung einzelner vertraglicher Bestimmungen überlassen.
Die Durchsicht der den Sonderprüfern überlassenen Unterlagen und die Auswertung von körperlichem und elektronischem Schriftverkehr führte nicht zu der Erkenntnis, dass neben der vorgesehenen - aber nicht durch die PrimaCom AG selbst oder durch eine von dieser beeinflussbaren Gesellschaft durchzuführenden - Veräußerung der Tochtergesellschaft Multikabel an die Liberty/UGC/UPC-Gruppe Sondervorteile an Aktionäre der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem PSA vorgesehen waren oder versprochen worden sind.
1.3 Sonderprüfungsauftrag Nr. 3
Die Feststellungen der Sonderprüfung zum Sonderprüfungsauftrag Nr. 3 "es soll weiter geprüft werden, ob die Second Secured Facilitiy sittenwidrig ist, insbesondere im Zusammenhang mit den hohen Beraterkosten" lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Nachfolgend stellen wir die entsprechenden rechtlichen Folgerungen bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach deutschem Recht für zwei verschiedene Konstellationen dar, deren Eintritt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wahrscheinlich ist:
- Das Second Secured Facility Agreement ist unter Zugrundelegung der deutschen Rechtsordnung sittenwidrig.
- In dem Second Secured Facility Agreement ist jedoch die Anwendung englischen Rechts vereinbart. Die Prüfung der Wirksamkeit der Wahl der englischen Rechtsordnung beurteilt sich nach englischem Recht. Diese Rechtswahl ist nach unserer Auffassung wegen des hier gegebenen Bezuges zum englischen Rechtskreis (Banken) anzuerkennen.
- Die Anwendung englischen Rechts kann jedoch teilweise durch die grundlegenden Wertungen der deutschen Rechtsordnung (Ordre-public-Grundsatz") durchbrochen werden, so dass trotz der vertraglichen Rechtswahl die deutsche Rechtsordnung und deren Maßstäbe auf die Sittenwidrigkeit eines Kreditvertrages anzuwenden sind.
- Die deshalb auf das Second Secured Facility Agreement anzuwendenden Grundwertungen zur materiellrechtlichen Sittenwidrigkeit werden jedoch durch die Gerichtsstandsvereinbarung überlagert. Danach sind Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf das Second Secured Facility Agreement durch die PrimaCom Gruppe vor englischen Gerichten zu führen. In einem Feststellungsverfahren kann u.E. gleichwohl die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vor einem deutschen Gericht geprüft werden. Die Gerichtsstandsvereinbarung ist eine sog. "hinkende" Gerichtsstandsvereinbarung, weil die Gerichtsstandsvereinbarung lediglich zugunsten der darlehensgebenden Banken dahingehend geschlossen wurde, dass die geregelte Zuständigkeit (d.h. die Zuständigkeit der englischen Gerichte) für die darlehensgebenden Banken eine fakultative und für die PrimaCom AG eine ausschließliche ist. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass im vorliegenden Fall aufgrund der durch die Gerichtsstandsvereinbarung bewirkten prozessualen Ungleichbehandlung der Vertragsparteien die Unwirksamkeit der "hinkenden" Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt wird.
- Die Durchsetzung der Wertung, dass das Second Secured Facility Agreement nach deutschem Recht sittenwidrig ist, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Land eine Klage in Bezug auf das Second Secured Facility Agreement zuerst rechtshängig wird, da sich daraus unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe hinsichtlich der Einwirkungsintensität der deutschen Wertordnung (Sittenwidrigkeit des Second Secured Facility Agreements) ergeben. Entscheidet zuerst ein englisches Gericht, so ist die Einwirkungsintensität der deutschen Rechtsordnung und damit auch der nach deutscher Wertordnung vorliegenden Sittenwidrigkeit des Kreditvertrags geringer ausgeprägt, weil in diesem Fall die Wertungen zur Sittenwidrigkeit durch den Grundsatz überlagert werden, dass ausländische Gerichtsentscheidungen grundsätzlich anzuerkennen sind.
- Würde keine englische gerichtliche Entscheidung vorliegen, die in Deutschland anerkannt werden müsste, sondern würde ein deutsches Gericht die Sittenwidrigkeit des Second Secured Facility Agreement im Rahmen eines Erstprozesses überprüfen, d.h. die Gerichtsstandsvereinbarung wäre unwirksam, so wäre Art. 6 EGBGB als Maßstab des inländischen Ordre-public zu prüfen. Das Second Secured Facility Agreement verstößt u.E. gegen den deutschen Ordre-public-Grundsatz gemäß Art. 6 EGBGB, weil die Höhe der Zinssätze, in denen die Kreditvermittlungskosten und Bearbeitungsgebühren zu berücksichtigen sind, die Vereinbarung von Zinseszinsen sowie zusätzlich von Verzugszinsen und die knebelnden Vertragsbedingungen zu Lasten der PrimaCom AG und der PrimaCom Management GmbH sowie die mögliche Gefährdung außenstehender Gläubiger gegen § 138 BGB sowie gegen § 248 BGB verstoßen.
Es ist uns zwar keine Rechtsprechung bekannt, die einen vergleichbaren grenzüberschreitenden Sachverhalt (Deutschland-England) zum Gegenstand hatte, aber es ist durchaus möglich, dass ein deutsches Gericht als Rechtsfolge des Verstoßes gegen Art. 6 EGBGB i.V.m. §§ 138, 248 BGB im Sinne der BGH-Rechtsprechung zu reinen Inlandssachverhalten entscheiden würde, dass das Darlehen unter dem Second Secured Facility Agreement der PrimaCom AG bis zu dem Zeitpunkt belassen wird, in dem es bei Gültigkeit des Vertrages zurückzuzahlen wäre, ohne für die Zeit der Überlassung der Darlehensvaluta Zinsen fordern zu können. Der Rückzahlungszeitpunkt ist der 31. März 2010.
- Würde eine englische gerichtliche Entscheidung vorliegen, die in Deutschland anerkannt werden müsste, so wäre die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den deutschen Ordre-public die Ablehnung der Anerkennung der ausländischen Entscheidung gemäß Art. 34 Nr. 1 EuGVVO. Der anerkennungsrechtliche Ordre-public (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO) ist restriktiver als der kollisionsrechtliche Ordre-public (Art. 6 EGBGB). Vor diesem Hintergrund ist es problematisch, ob ein deutsches Gericht im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens in vollständiger Ausführlichkeit die Sittenwidrigkeit des Second Secured Facility Agreement prüfen würde. Gemäß Art. 36 EuGVVO darf eine ausländische Gerichtsentscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden (Verbot der révision au fond). Nichtsdestotrotz kann u.E. im Anerkennungsverfahren der Einwand der Sittenwidrigkeit des Second Secured Facility Agreement gemäß § 138 BGB vorgetragen werden. Ob dieser Einwand erfolgreich sein wird, wird das deutsche Gericht im Anerkennungsverfahren rechtskräftig entscheiden.
1.4 Sonderprüfungsauftrag Nr. 4
Die Feststellungen der Sonderprüfung zum Sonderprüfungsauftrag Nr. 4 "es soll geprüft werden, ob sich die Kreditgeber treuwidrig verhalten, wenn sie statt einer Wandlung in Geschäftsanteile der PrimaCom Management GmbH den Abschluss des PSA fordern" lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Unserer Ansicht nach bestehen gegenüber der PrimaCom AG und der PrimaCom Management GmbH von Seiten der Darlehensgeber unter dem Second Secured Facility Agreement Treuepflichten. Der Grund hierfür ist, dass sich die wirtschaftliche Situation des PrimaCom Konzerns im Vergleich zu der bei Abschluss des Second Secured Facility Agreements zugrunde gelegten, prognostizierten Entwicklung auf Basis des konzernbezogenen EBITDA nicht verschlechtert hat, sondern sich das konzernbezogene EBITDA kontinuierlich verbessert und zudem die Recht aus der Share Option quasi-gesellschafterliche Verhaltensanforderungen begründen.
Zwar ist es aus unserer Sicht nicht treuwidrig, die Share Option nicht auszuüben. Auch in der Forderung des Abschlusses des PSA durch die Kreditgeber können wir keine Verletzung einer Treuepflicht erkennen. Hierzu sind bisher keine gerichtlichen Entscheidungen ergangen.
Aber die Treuepflicht hat nach unserer Meinung zur Folge, dass eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung derselben eine Schadensersatzpflicht begründen kann. Solange die Verletzungshandlung oder der pflichtwidrige Zustand andauert, kann ein Unterlassungsanspruch gegeben sein. Dieser Unterlassungsanspruch kann z.B. eine Stillhaltepflicht der Kreditgeber gegenüber den Kreditnehmern bewirken. Dies bedeutet, dass die Kreditgeber bestimmte Handlungen und Aktivitäten nicht vornehmen dürfen.
- Die Grundsätze eigenkapitalersetzender Darlehen bzgl. der PrimaCom Management GmbH sind auf die Kredite der PrimaCom Management GmbH anwendbar. § 30 Abs. 1 GmbHG ist einschlägig, so dass das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft an Apollo und JP Morgan nicht ausgezahlt werden darf (Rückzahlungsverbot). Die Rückzahlung ist ausgeschlossen, soweit und solange die Mittel zum Ausgleich einer Unterbilanz und auch weitergehender Überschuldung dienen. Grundsätzlich erstreckt sich das Verbot nicht auf einen darüber hinausgehenden Darlehensbetrag. Ohne Berücksichtigung insolvenzrechtlicher Vorschriften ist eine Rückforderung also ausgeschlossen, soweit und solange die Rückzahlung zu einer Minderung des satzungsmäßigen Stammkapitals führen würde. Zinsansprüche laufen weiter, dürfen aber ebenfalls nicht geltend gemacht werden. Die Verwertung von Sicherheiten muss unterbleiben. Die PrimaCom Management GmbH befindet sich in einer Krise, so dass die Verpflichtungen aus dem Second Secured Facility Agreement für die Dauer der Krise gestundet sind. Gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG müssen Zahlungen, welche dem Rückzahlungsverbot gemäß § 30 GmbHG zuwider geleistet sind, der Gesellschaft erstattet werden (Erstattungsanspruch).
- Die Grundsätze eigenkapitalersetzender Darlehen verbunden mit der Erhaltung des Grundkapitals (§ 30 GmbHG analog) sind unserer Ansicht nach auch im Verhältnis der darlehensgebenden Banken zu der PrimaCom AG anzuwenden. Die darlehensgebenden Banken können Zahlungsansprüche gegen die PrimaCom AG deshalb nicht geltend machen, soweit dies gemäß
§ 30 GmbHG analog (Erhaltung des Grundkapitals) zu einer Minderung des Grundkapitals führen würde. Im Übrigen entsprechen die Rechtsfolgen den soeben bei der PrimaCom Management GmbH dargestellten.
- Eine Finanzierung des PrimaCom Konzerns über den Finanzmarkt durch neue Banken war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Second Secured Facility Agreements nicht möglich. Deshalb kann bereits zu diesem Zeitpunkt von einer Kreditunwürdigkeit des PrimaCom Konzerns im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts ausgegangen werden. Somit können seit März 2002 die Voraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts hinsichtlich des Second Secured Facility Agreements als gegeben angesehen werden. Spätestens jedoch seit dem 8. Juni 2004 befindet sich die PrimaCom AG in der Krise, weil vor und während der Hauptversammlung der PrimaCom AG die Anmeldung der Insolvenz bei einem Scheitern der Übernahme des Konzerns durch die Kreditgeber in Erwägung gezogen wurde.
- Exkurs: § 117 AktG
Gemäß § 117 AktG ist derjenige, der vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft insbesondere ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, der Gesellschaft zum Ersatz des der Gesellschaft daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Aus der Haftungsnorm des § 117 AktG ergibt sich eine haftungsbewehrte Pflicht, schädigende Einflussnahmen auf die Gesellschaft zu unterlassen. Diese Pflicht resultiert ohne Rücksicht auf eine Gesellschafterstellung des Täters und auch unabhängig davon, ob der hierbei benutzte Einfluss ein spezifisch gesellschaftsrechtlich vermittelter ist oder nicht. Im Falle einer mitgliedschaftlichen Täterstellung, d.h. beispielsweise bei Quasi-Gesellschaftern, kann eine entsprechende Haftung auch aus der mitgliedschaftlichen Treuepflicht hergeleitet werden. Die Haftung aus § 117 AktG und die Haftung aus einer schuldhaften und rechtswidrigen Treuepflichtverletzung finden somit nebeneinander Anwendung.
Als Einflussnehmer auf die Gesellschaft gemäß § 117 AktG kommen Vertragspartner der Gesellschaft, wie z.B. Kreditgeber, in Betracht. Der Einfluss kann auf geschäftlichen oder sonstigen Beziehungen zu der Gesellschaft gegründet sein, z.B. aus der Machtstellung als Kreditgeber. Eine unmittelbare Einflussnahme des Kreditgebers auf einzelne geschäftliche Entscheidungen ist mit erheblichen Risiken für den Kreditgeber behaftet. Mit einem solchen Eingriff in Einzelentscheidungen wird dem Kreditnehmer die unternehmerische Freiheit im Interesse des Kreditgebers beschnitten. Ebenfalls mit erheblichen Risiken behaftet sind generelle Einflussnahmen auf die Wahrnehmung der Unternehmerfunktion durch den Vorstand.
Folgender Sachverhalt ist u.E. für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 117 AktG geeignet:
Um die Steuerlast bis zum einem Betrag von EUR 4,6 Mio. (Betrag durch LKC nicht geprüft) zu reduzieren, hat der Vorstand der PrimaCom AG und die Geschäftsführung der PrimaCom Management GmbH im Jahr 2004 beschlossen, einige Tochtergesellschaften zu verschmelzen. Die geplante Transaktion wäre unter Erzielung der gewünschten steuerlichen Entlastungseffekte nur bis zum 31. August 2004 möglich gewesen. Der Ter-min ist verstrichen, weil die Darlehensgeber unter dem Second Secured Facility Agreement, denen der Vorgang zur Zustimmung vorgelegt wurde, den Sachverhalt langwierig prüften. Die Nichterteilung der rechtzeitigen Zustimmung durch die Darlehensgeber unter dem Second Secured Facility Agreement zu der Verschmelzung könnte geeignet sein, dass eine Schadensersatzpflicht gemäß § 117 Abs. 1 AktG ausgelöst wurde. Die Details des gesamten Vorgangs, insbesondere die zeitliche Komponente, d.h. die Rechtzeitigkeit der Zustimmung, müssten jedoch umfassender geprüft werden, um die exakten Erfolgsaussichten dieses Schadenersatzanspruchs abschätzen zu können.
1.5 Sonderprüfungsauftrag Nr. 5
Die Feststellungen der Sonderprüfung zum Sonderprüfungsauftrag Nr.5 "es soll geprüft werden, ob eine Ad-hoc-Mitteilungspflicht schon am 16.02.2004 bestand, und wann die Verlustanzeige nach § 92 Abs. 1 AktG hätte erfolgen müssen" lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Da der PSA ein mehrstufiger Entscheidungsprozess innerhalb des Unternehmens war, stellte sein Abschluss eine Tatsache im Sinne der Ad hoc-Mitteilungspflicht erst dann dar, als die unternehmensinterne Entscheidungsfindung abgeschlossen war. Da das Zustandekommen des PSA nicht alleine von einer Zustimmung des Aufsichtsrats, abhing, war der maßgebliche Zeitpunkt des "Eintretens" der Tatsache und damit die Pflicht zur Ad hoc-Publizität der faktische Abschluss des Rechtsgeschäfts vor dem Notar am 16. April 2004 durch den Vorstand.
- Unterstellt man, dass die bilanzielle Berücksichtigung des PSA zwischen dem Vorstand und den Wirtschaftsprüfern diskutiert und vor allem die Bildung der Drohverlustrückstellung vom Zustandekommen des PSA abhängig gemacht wurde, würde als frühester Feststellungszeitpunkt des Verlusts des hälftigen Grundkapitals der 16. April 2004, mit notariellem Abschluss des PSA, als spätester Feststellungszeitpunkt jedoch der 19. April 2004, mit der Erteilung des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks, gelten.
- Die Einladung zur Hauptversammlung am 8. Juni 2004 wurde im elektronischen Bundesanzeiger unter "gerichtliche und sonstige Bekanntmachungen" am 30. April 2004 veröffentlicht. In dieser Einladung ist unter TOP 2 der Tagesordnung "Anzeige des Vorstands gemäß § 92 Abs. 1 AktG, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht" die Verlustanzeige inhaltlich zutreffend erfolgt. Sowohl bei der Annahme des Fristbeginns für die "Unverzüglichkeit" am 16. April 2004 (notarieller Abschluss des PSA),als auch erst recht bei einem angenommenen Fristbeginn am 19. April 2004 (Testat der Wirtschaftsprüfer) wäre die unverzügliche Einberufung der Hauptversammlung und die Verlustanzeige innerhalb von 14 Tagen erfolgt, womit der Vorstand seiner Pflicht aus § 92 Abs. 1 AktG ordentlich und gewissenhaft nachgekommen ist.
Veröffentlichungsdatum:
22.12.2004
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Redakteur:
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