Hätten Sie es gewusst, die kürzeste HV aller Zeiten....?
Die Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften stehen national und international nicht unbedingt im Ruf mit besonders kurzen Versammlungsdauern aufzuwarten. Ohne an dieser Stelle auf die zum Teil berechtigten Hintergründe von länger dauernden Hauptversammlungen eingehen zu wollen, weckt diese Feststellung naturgemäß auch die Neugier nach besonders kurzen Aktionärsversammlungen hierzulande.

In meiner eigenen, inzwischen deutlich über 1.000 Hauptversammlungen umfassenden Erfahrung, habe ich schon einige Gesellschaften mit Versammlungsdauern von unter einer Stunde erlebt. Die dem Vernehmen nach kürzeste Hauptversammlung in diesem Jahrtausend war im August 2000 das Aktionärstreffen der Fleischer Einkauf AG im Hotel “Strandlust” in Bremen-Vegesack. Dort wurden alle Punkte der Tagesordnung in rekordverdächtigen 8 (in Worten: acht) Minuten abgehandelt. Bis vor kurzem bin auch ich davon überzeugt gewesen, dass dieser Wert den Rekord unter den Publikumsgesellschaften hierzulande darstellt.

Bei der Lektüre der Biographie über den bekannten deutschen Industriellen Hugo Stinnes bin ich jedoch durch Zufall über einen Hauptversammlungsbericht des Montankonzerns Deutsch-Luxemburg gestolpert, auf den dort Bezug genommen wird. Die Versammlung welche bezeichnenderweise in der Bochumer Harmonie im Dezember 1911 stattgefunden hat, dauerte sage und schreibe nur knapp eine (!) Minute. Zur Versammlung des Unternehmens - heutzutage zweifelsohne ein DAX30 Wert -  hatten sich seinerzeit 70 Aktionäre und rund ein Dutzend Pressevertreter eingefunden. Hier Auszüge des Berichts aus der Kölnischen Zeitung.

“(Zitat) Pünktlich zur festgesetzten Stunde erschien im Saale der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Herr Hugo Stinne und hinter ihm in langem Zuge zahlreiche Mitglieder des Aufsichtsrates. Dieser Aufsichtsrat ist durch eine Reihe Verschmelzungen, zuletzt auch die Angliederung der Dortmunder Union, wohl zurzeit der größte. Er zählt nicht weniger als 43 Mitglieder, darunter 16 Generaldirektoren, Geheime Kommerzienräte, Kommerzienräte und Werksdirektoren, und allein 12 Bankdirektoren, darunter auch solche aus Luxemburg und Belgien. Der Aufsichtsrat hat im letzten Geschäftsjahr 402.000 Mark an Tantiemen erhalten.

Herr Hugo Stinnes eröffnete die Generalversammlung und stellte den Geschäftsbericht zur Beratung. Auf Verlesung wurde verzichtet, der Abschluss einstimmig und ohne Erörterung genehmigt, ebenso die Dividende auf 11 Prozent festgesetzt und die Entlastung erteilt. Die Präsenzliste ergab, dass von den 90 Millionen Mark betragenden Aktienkapital 64 Millionen vertreten waren. Ein Mitglied des Aufsichtsrats, die Berliner Bankgröße Alexander Schöller, war gestorben. Ihm galt ein kurzer Nachruf. Eine Ersatzwahl wurde nicht vorgenommen; denn der Aufsichtsrat ist ja noch groß genug.

Keiner der Aktionäre sprach ein Wort oder stellte eine Anfrage. Der Vorsitzende, ein großer Schweiger, brauchte deshalb auch keine Antwort und keine Aufklärung zu geben. In kaum einer Minute war die Generalversammlung dieser Riesengesellschaft zu ende. , waren die Schlussworte des Herrn Stinnes.

Allgemeine große Heiterkeit ging durch die Reihen des Aufsichtsrats und der Aktionäre. Herr Stinnes hatte kein Wort gesprochen über die Erneuerung des Kohlensyndikats und andere wirtschaftliche Fragen. Es hatte ja niemand Auskunft gewünscht. Die Aktionäre ließen sich größtenteils beim Frühstück nieder und der Aufsichtsrat zog sich zu seiner Sitzung zurück. Das war die Generalversammlung von Deutsch-Luxemburg im Jahre 1911. (Zitat Ende)”.

Angesichts der heute zum Teil schon einige Minuten dauernden einleitenden Ausführungen des Versammlungsleiters zum Procedere der Versammlung wird dieser Rekord aus 1911 wohl einer für die Ewigkeit bleiben.

Alexander Langhorst

Veröffentlichungsdatum: 07.12.2009 - 21:27
Redakteur: abu
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